
Die Krise der Verwirrung
Kollektiv befinden wir uns in einer Phase tiefer Verunsicherung und Verwirrung. Im Moment scheint es, dass sich unsere eigenen Interessen auf vielen verschiedenen Ebenen unseres Arbeits- und Privatlebens selbst widersprechen. Wir müssen zwischen unabdingbaren Grundwerten abwägen, und es scheint, als stünde Arbeit gegen Gesundheit, Gesundheit gegen Freiheit, Aktivismus gegen Ökologie, Wirtschaftsinteressen gegen Überlebenschancen, Jung gegen Alt, Ethik gegen Pragmatismus.
Es handelt sich nicht so sehr um eine kollektive Identitätskrise, wie sie beispielsweise bei der Flüchtlingsthematik in Deutschland aufkam. Diese aktuelle Krise geht tiefer; es ist eine multiple Sinnkrise, sie betrifft jede und jeden, betrifft alle Aspekte unseres Seins. Und damit nicht genug: Haben wir einen Sinn gefunden, entgleitet er uns gleich wieder. Etwas, das in einem Kontext Sinn macht, bewirkt im nächsten Kontext das Gegenteil. Soziale Distanz als notwendige Maß-nahme auf der einen Seite lässt auf der anderen Seite zu, dass alte, kranke Menschen allein sterben. Die aus Sicht der Pandemie sinnvolle Distanz kostet durch die Unterbrechung globaler Werteketten möglicherweise ein Vielfaches an Menschenleben durch Hunger und andere sekundäre und tertiäre Folgeerscheinungen. Wir stecken in einer nie vorher dagewesenen Krise der Verwirrung: Wir schaffen es nicht, das, was um uns herum geschieht, in Echtzeit sinnvoll zu verarbeiten, um handeln zu können.
Dieser Crisis of Sensemaking[1] [2] sind wir, sind unsere Politiker derzeit nur unzureichend gewachsen. Neue Politik, im besten, integralen Sinne, muss lernen, auf die Phänomene rund um Verwirrung auf der einen, und Sensemaking auf der anderen Seite zu achten, insbesondere wenn Menschen von der den Entwicklungen innewohnenden Mehrdeutigkeit überfordert sind. Hier, auf dieser Ebene, wohnen die Ängste, Sorgen, Widersprüche, Werte, Ideen, Frustrationen, Schatten, Wünsche und Begehren. Werden sie nicht gehört, suchen sich diese Energien Auswege, die mittlerweile allzu bekannt sind.
Was also, wenn man einmal wirklich, tiefer, hinhören würde? Was sind also die Ängste, Sorgen, die Ideen, die Trends, die aus dem System kommenden Signale, die Frühwarnzeichen für gerade stattfindende oder nötige Veränderungen? Was erzählen sich die Menschen darüber, wie sie die Krise erleben und verstehen? Und natürlich: wie kann auf dieser Grundlage kollektive Veränderung erfolgen? Wie kann hier ein neues, sinnvolles Narrativ entstehen?
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